Eine kleine Gruppe der Mosaikkirche war im Sept. 2018 eine Woche auf Lesbos, um geflüchteten Menschen zu helfen und das Camp dort zu unterstützen.
Hier sind die Nachrichten aus der Zeit des Einsatzes.

Nachricht vom Sonntag, 30. Sept.

“Der mediterrane Hurrikane hat die Richtung geändert und steuert direkt auf Lesbos zu und wird vermutlich morgen auf die Insel treffen”, war die erste Ansage am Morgen unserer letzten Schicht. Das wussten natürlich nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Flüchtlinge in Moria, und dementsprechend machte sich auch ein leichter Anflug von Panik breit. Wie sollten die Zelte diesen Sturm überstehen? Wo sollten die Menschen Schutz finden? Den ganzen Tag über versuchten sie ihre Zelte so windfest wie möglich zu machen mit der flammenden Befürchtung, dass es vermutlich sowieso nichts bringt, aber wir setzten alles daran ihnen zu helfen, so viele, wie es ging, aus dem Olivenhain ins Camp zu quartieren und weiter Tickets zu verteilen, die am Montag wieder einige aufs Festland bringen sollten. Es wird versucht, bis zum Winter so viele wie möglich aus Moria rauszubringen, aber auf 80 Verlassende kommt trotzdem jeden Tag mindestens ein Neuankömmling. “Wie stellt ihr euch das vor?! Wie sollen wir hier draußen überleben!?”, kreisen immer wieder die verzweifelten Anklagen. Und sie haben Recht: wir können uns das nicht vorstellen. Während es in Strömen regnet, sind wir auf unserem Weg nach Hause – in unser warmes Heim, zu unseren Freunden und Familien, unserem gewohnten Lebensstandard, der so wahnsinnig hoch ist. Wie stellen wir uns das vor? Wie wäre es, wenn wir aus Deutschland flüchten müssten? Wenn wir ohne Familie und irgendwelche Mittel in einem fremden Land ankommen? Wenn wir auf der anderen Seite des Zauns stehen? Wenn wir nicht von der Bevölkerung akzeptiert werden? Wenn es nicht genug zum Leben gibt, weil zu wenig da ist, weil zu wenige spenden, zu wenige helfen, anstatt des Leids das “Flüchtlingsproblem” gesehen wird, das aus dem Land geschafft werden muss. Wie stellen wir uns das vor?

Wir sind dankbar für jede Sekunde, die wir mit den Menschen im Camp und miteinander verbringen durften, für die Eindrücke, Gespräche, das Augenöffnen und Mitleiden. Es gibt dort jeden Tag so viele individuelle Bedürfnisse, Grundbedürfnisse, die gestillt werden müssten, so viel Elend, das beendet werden müsste. Aber das alles wird kein Ende haben, wenn sich die Situation in den von Krieg und Verfolgung betroffenen Ländern nicht ändert. Deshalb wollen wir nicht aufhören diese Länder vor Gottes Thron zu bringen. Jeder hat seinen Platz in dem großen Auftrag, die Erde zu bewahren. Vielleicht ist es ein Gebet, vielleicht ein Hilfseinsatz vor Ort, vielleicht eine Spende, vielleicht ein Unterstützen derjenigen, die die Zeit und Kraft haben dort hin zu gehen, so wie ihr es bei uns getan habt. Lasst uns nicht mit verschlossenen Augen durch diese Welt laufen, sondern unsere Herzen für die Menschen um uns herum öffnen. Lasst uns Liebe leben.

Vielen Dank für eure Gebete, euer Nachfragen und euer Unterstützen. Wir als Team sind so glücklich und dankbar für alles, was ihr für uns und die Menschen in Moria investiert habt.

“Denn Gott ist nicht ungerecht. Er vergisst nicht, wie ihr ihm eure Liebe bewiesen und für ihn gearbeitet habt, indem ihr den Gläubigen dientet und das noch immer tut.” Hebräer 6,10

In Liebe und Dankbarkeit, euer Lesbos-Team

Nachricht vom Freitag, 28. Sept.

Der heutige Tag war eigentlich recht strukturiert und übersichtlich gewesen, weil wir größtenteils mit den Aufgaben vom Vortag weitermachen konnten und schon Routine hatten. Einige vom Team waren den ganzen Tag zusätzlich damit beschäftigt beschädigte Zelte und Planen zu sortieren und zu reparieren. Von den insgesamt ca. 60 Zelten sind noch mindestens 40 brauchbar und das ist so gut. Problematisch ist nur, dass es hauptsächlich Sommerzelte sind und es auch fast nur solche auf Reserve gibt. Es ist kaum vorstellbar, wie die Flüchtlinge bei Schnee und Frost in diesen kleinen, dünnen Plastikdingern ohne Decke und Schlafsäcke überleben sollen.

Gegen Nachmittag wurden ca. 300 von ihnen von Bussen abgeholt und auf das Festland gebracht. Die Stimmung war wieder atemberaubend und es schien kein Neid zu herrschen, sondern Mitfreuen, Glückwünschen, das Beste für diejenigen hoffen, die endlich raus aus diesen Zäunen dürfen. Aber bereits für heute Nacht werden wieder viele Neuankömmlige erwartet, da sie durch den Sturm die letzten zwei Tage fast völlig ausgeblieben waren und sich vermutlich an der türkischen Küste gestaut haben. Bitte betet für eine sichere Überfahrt. Viele von ihnen können nicht schwimmen, deshalb kann der Weg, auch wenn er nicht so weit ist, immer noch für viele zum Verhängnis werden. Wir haben also zwei Tage Sturmpause, aber ab morgen Abend sind wieder Sturm und Unwetter angesagt. Uns Deutschen in unseren Häusern und Apartments mag das nichts ausmachen, aber dort ist jeder Sturm eine kleine Katastrophe, ein Fürchten und Bangen.

Wir hoffen auch, dass wir am Sonntagmorgen mit dem Flieger Richtung Heimat starten können und nicht am Flughafen bleiben müssen.

Manuel, einer der Organisatoren, hat uns heute von einer geflüchteten Frau erzählt, die er kennengelernt hat und sich für den christlichen Glauben entschieden hat. Sie hat auch in Moria gelebt, hat Tag um Tag in diesem Elend verbracht und hat die Freiwilligen beobachtet, die im Camp halfen. Sie haben sie nicht mit dem Evangelium konfrontiert, haben nicht von ihrem Glauben geredet, haben ihr keine Bibel in die Hand gedrückt, sondern sie waren einfach da, haben Liebe gelebt, waren das Licht der Welt, und sie wurden gesehen. Genau so wie wir hier, genau so wie jeder von euch Zuhause. Es ist das Schönste, was wir den Menschen um uns herum schenken können: die Liebe, die uns selbst verändert hat und jeden Tag neu verändert.

Wir sind gespannt auf unseren letzten Tag morgen und hoffen noch viel Böses mit Gutem überwinden zu können.

In Jesu Liebe, euer Lesbos -Team

Nachricht vom Donnerstag, 27. Sept.

Gott hat eure und unsere Gebete heute Nacht erhört, sodass sich der Schaden im Lager gut eingrenzen lässt!!! Tausend Dank an euch! Es sind sehr viele Zelte und Planen beschätigt, aber es gab heute so viele helfende Hände. Nicht nur Freiwillige, sondern auch Flüchtlinge haben mit angepackt und sich gegenseitig geholfen, wo es ging. Es war ein schönes, aber zugleich auch trauriges Bild, gerade weil sie wissen, dass der Winter kommt und sie verzweifelt und im Überlebensmodus sind. Es werden also nicht nur Decken, sondern auch ganz viel Frieden gebraucht. Wir hoffen, dass es bis dahin besser wird und diese Hoffnung vermitteln wir ihnen, aber gut machen können wir dennoch nichts. Zwar besser, aber auf keinen Fall gut. Diese Tatsache hat uns ja gestern so sehr deprimiert, doch heute Morgen hatte der Teamleiter treffende und ermutigende Worte, die uns inne halten ließen und uns neu ausrichteten: Es ist nicht unsere Aufgabe, das ganze Leid zu lindern, das können wir nicht, aber wir können das herrschende Chaos minimieren. Weil die Finsternis hier so viel Platz hat und so mächtig ist, gebraucht uns Jesus umso mehr, um das Böse mit Gutem zu überwinden. Er geht selbst jeden Tag durch dieses Camp und es bricht ihm das Herz. Er weiß, wie es den Geflüchteten geht, er kann mit ihnen mitfühlen – seine Familie musste selbst einst flüchten. Das Gute IST stärker und wir KÖNNEN es überwinden, bis aus dem “Besser” wieder ein “Sehr gut” geworden ist. Gott verherrlicht sich dort in diesem Camp durch uns, wir dürfen Teil seiner großen Rettungsaktion für seine geliebten Geschöpfe sein.

Da der meiste Schaden am Olivenhain entstanden ist, waren viele von uns heute zum ersten Mal dort unterwegs, kamen mit vielen ins Gespräch, haben versucht verzweifelte Gemüter zu besänftigen, haben Zelte repariert, Menschen umquartiert, Tickets für die wenigen Decken verteilt, die da sind, haben oft erklärt, warum es für die einen Decken gibt und für die anderen mit kranken Kindern nicht, haben mit den Menschen dort geschuftet und Tee getrunken, geredet und gelacht, Kinder geherzt und Jugendliche unterstützt. Es ist eine schreckliche Realität, in der wir stehen und sie leben, aber zu sehen, wie die Liebe trotzdem da ist, dass Sonnenstrahlen durch die dicksten Wolken kommen, dass es voran geht, dass Gutes geschieht, ist unglaublich. Wie sie sich untereinander organisieren, teilweise so was wie Bürgermeister für Bezirke einsetzen, der alles ein wenig mitkoordoniert, dass Flüchtlinge freiwillig als Übersetzer bei uns sind und mit uns mitgehen, wenn wir es anders nicht schaffen, dass selbst die kleinsten Kinder mithelfen Zeltplanen zu transportieren. Gott hat unsere Augen heute auch auf das Gute gerichtet und es hat uns sehr gut getan. Danke, dass ihr an uns denkt!

Noch einige konkrete Anliegen:

Wir haben heute mitbekommen, dass die Taliban im Olivenhain aktiv ist, weil die Polizei da nicht zuständig ist, da der Olivenhain außerhalb der Zäune liegt. Die Menschen müssen also nicht nur ums nackte Überleben kämpfen, sondern auch aufgrund der Taliban um ihr Leben fürchten.

Einige von uns sind etwas angeschlagen. Es bleiben uns nur noch zwei Tage und wir wollen so gerne das Beste aus den Tagen rausholen. Dazu brauchen wir noch ganz viel Kraft und Gesundheit und Liebe.

Timos Anliegen hat sich heute noch nicht geklärt, aber er hat andere Ideen, wie es wahrscheinlich umgesetzt werden kann.

Wir sind sehr zuversichtlich für die nächsten Tage und hoffen, dass wir die Liebe Jesu noch mehr überfließen lassen können. Es ist so gut, dass wir hier sind.

Gott segne euch, danke für euer Drandenken! Euer Lesbos-Team

Nachricht vom Mittwoch, 26. Sept.

Es war heute Morgen beim Antritt zur Frühschicht so ermutigend zu sehen, dass außer uns noch viele andere Freiwillige aus verschiedensten Ländern (England, Niederlande, USA,…) die Menschen hier auf dem Herzen haben und auch gekommen sind, um zu helfen. Aber trotzdem traf uns die bittere Realität noch ein wenig härter als zuvor: Es sind viel zu viele Bedürfnisse und viel zu wenig Ressourcen da, als dass diese alle gestillt werden könnten! Die Organisation und das ganze System sind völlig überlastet, vieles geht nur mühsam voran. Und wir sind es alle so leid den Menschen im Camp “Nein” sagen zu müssen:
Nein zu einer Decke, obwohl es so furchtbar kalt ist, viele krank sind, die Nacht in dem Zustand unmöglich Schlaf bringen kann.
Nein zu der weinenden Mutter, die nur will, dass ihr Kind nicht erfriert.
Nein zu den flehenden Vätern, die ein neues Zelt zum Schutz für ihre Familien wollen, weil der Wind das alte Zelt völlig zerfetzt hat.
Nein zu den Kindern, die niemanden haben, der sich um sie kümmert.

Es bricht uns das Herz und langsam werden wir müde, nicht nur körperlich, aber auch darin, das alles mit ansehen zu müssen und nur so wenig helfen zu können! Uns sind die Hände gebunden und das ist so schwer. Die Menschen im Camp wollen doch nur dasselbe wie wir auch: ein ruhiges Leben, genug zu Essen, ein wenig mehr um glücklich zu sein, Chancen für ihre Kinder, ein Zuhause. Aber das alles haben sie nicht einmal im Ansatz.

Ein riesiges und dringendes Anliegen ist das momentane Wetter. Der Wind war heute schon so stark, dass einige von uns alle Hand damit zu tun hatten zu versuchen, die zerrissenen Zelte irgendwie mit Panzertape wieder zusammen zu kleben, aber heute Nacht soll es noch schlimmer werden. Und außerhalb des Camps gibt es den so genannten Olivenhain, wo alle diejenigen wohnen, die nicht mehr ins Lager gepasst haben. Es ist quasi eine kleine Zeltstadt, ohne schützende Mauern, direkt auf der Anhöhe, wo der Wind am stärksten weht. Wir sind völlig ohnmächtig und bitten euch deswegen, mitzubeten: um Schutz, um Linderung, um Erbarmen. Es gibt auch schon ohne die Auswirkungen des zerstörenden Unwetters nicht genug Zelte und Jacken und Decken für alle. Wir wissen nicht wie es werden soll, wenn die Böen großen Schaden anrichten. Bitte betet mit uns um eine ruhige Nacht!

Aber auch weiterhin für mehr Ressourcen. Es gibt viele Sommerjacken, außersaisonale Ware als Spende von großen Modekonzernen, für die man sehr dankbar ist, die allerdings nicht gegen die bittere Kälte helfen. Einige von uns durften heute im Warenhaus, wo die gespendeten Sachen sind, arbeiten und Kleidungspäckchen für die Neuankommenden packen und es ist so gut, dass so viel da ist, aber es kommen immer noch jeden einzelnen Tag Menschen hier an und das, was da ist, reicht kaum. Bitte betet dafür, dass Gott die Herzen der Menschen, die zu helfen in der Lage sind, bewegt.

Denn die Menschen im Camp sind verzweifelt, versuchen gerade bei so extremem Wetter einfach nur noch zu überleben und wir können manchmal nur tatenlos zusehen, müssen “nein” zu ihnen sagen. Es ist deprimierend und erdrückend. Was aber immer wieder erhellend und schön ist, sind die Momente, in denen Menschen verstehen, dass wir helfen wollen, aber es nicht können, dass wir sie dennoch lieben und für sie beten. Es gibt ihnen zwar keinen Schutz vor der Kälte, aber zumindest ein wenig Wärme in ihre verletzten, müden, einsamen Herzen.

Auch die Kinder sind hier ein besonderer Segen. Sie bringen ein Stück weit Leben, etwas Leichtigkeit und Lachen in dieses Elend. Genau für sie, die ihre ganze Zukunft noch vor sich haben, die sich jetzt entscheidend entwickeln, die mehr als alle Zuwendung, Unterstützung, Perspektiven, Sicherheit und Liebe brauchen, die niemanden haben, der ihnen das alles gibt, wollen wir besonders beten. Unser Koordinator hat das treffend ausgedrückt: er ist hier, um Anwalt für die Witwen und Waisen zu sein, um für sie einzustehen, um für sie Gerechtigkeit zu fordern, weil sie es selbst nicht können. Wir können dabei helfen und darum bitten, dass diese zarten, kleinen Herzen nicht zerbrechen.

Wie anders klingen die Worte des Vater Unsers hier vor Ort:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme und besiege die Finsternis in Moria,
dein Wille, der das Beste für jeden im Sinn hat, geschehe, wie im Himmel, so auch hier in Moria.
Das tägliche Brot gib ihnen heute, damit ihr Magen, aber auch ihre Seele satt wird.
Vergib ihnen ihre Schuld, das, was sie in dieser schrecklichen Not tun um zu überleben.
Hilf ihnen, denen zu vergeben, die ihnen und ihren Familien schreckliches Leid angetan haben und immer noch tun.
Führe sie nicht in Versuchung, sondern erlöse sie von dem Bösen, das sie sie umgibt und auch innerlich auffressen will.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen

Und dann zweifelt man. Hat Gott wirklich alle Macht? Warum greift er nicht ein und beendet das Elend? Wieso????

Bis man in Gottes Herz schaut, das blutet, und in seine Augen, die tränenüberströmt schimmern. Er hat uns Menschen diese Welt anvertraut, dass wir sie bebauen und bewahren, dass wir uns um sie kümmern, aber wir tun es nicht. Aus dem einstigen Paradies ist Moria geworden…

Wir als Team sind sehr bewegt, versuchen zu verarbeiten und weiterzumachen, zu helfen, wo wir können. Danke, dass ihr uns dabei unterstützt und mittragt.

Timo hat morgen ein Gespräch wegen der Genehmigung, da denkt bitte gern mit dran.

In dankbarer Liebe, euer Lesbos-Team

Nachricht vom Dienstag, 25. Sept.

Als wir gestern Nachmittag bei Moria angekommen waren, standen riesige Menschentrauben überall am geöffneten Eingangstor, voll bepackt mit ihren wenigen Habseligkeiten. Es war also wirklich Zeit für einige von ihnen das Camp hinter sich zu lassen und weiter nach Athen zu kommen. Es lag so viel Aufregung, Spannung und Freude, aber auch Ungewissheit und Traurigkeit, neugewonnene Freunde und Nachbarn zu verlassen, in der Luft. Letzte Fotos wurden geschossen, letzte Freudengesänge posaunt, letzte Umarmungen verschenkt, bis die Busse kamen, um zumindest einige in ein hoffentlich besseres Leben zu bringen. Wir wissen nicht genau, wie viele es waren, aber es dürften knapp 500 gewesen sein. Wir hatten also viel damit zu tun, freigewordene Plätze neu zu belegen, Flüchtlinge umzuquartieren und Zelte aufzubauen. Glücklicherweise kam an diesem Tag auch niemand Neues an, sodass dieser ganze Prozess relativ reibungslos verlaufen sollte.

Trotz der prallen Sonne im Verlauf des Tages merkt man es an den immer kühler werdenden Nächten, dass es in Richtung Winter geht. Das Schlimme ist, dass die Ladung der Regierung mit den Decken und anderen nötigen Hygieneartikeln schon seit zwei Wochen auf sich warten lässt und niemand weiß, wann oder ob sie kommt. Wir mussten vor allem gestern Abend so viele Familien mit kleinen Kindern enttäuscht wegschicken mit der traurigen Gewissheit, dass sie diese und jede weitere Nacht bis auf die Knochen frieren werden, weil einige von ihnen nicht einmal ein Zelt haben. Was für traurige Bilder es sind, Eltern mit ihren Kindern zwischen sich in diesen kalten Nächten am Wegesrand auf dünnen Isomatten liegend zu sehen. Bitte betet dafür, dass die Ladung bald hier ankommt oder von wo anders Decken und vielleicht sogar Schlafsäcke kommen.

In den Sektionen der Frauen und Minderjährigen war es gestern durch die Ausreise etwas ruhiger geworden, an anderer Stelle sorgten allerdings vor allem betrunkene Männer für Aufruhr. Durch die schwierige und für einige aussichtslose Situation flüchten sich viele von ihnen in Alkohol und Drogen. Es ist so traurig zu sehen, wie eigentlich nette und humorvolle Teenager und Männer jeglichen Alters sich in jemanden Unberechenbares und Aggressives verwandeln und es hinterher auch teilweise bereuen. In den meisten Momenten reichte gutes Zureden aus, aber in einer Auseinandersetzung steigerte sich das Ganze bis dahin, dass unser Schichtleiter von einem älteren Mann angegriffen wurde. Ihm ist aber nichts weiter passiert und wir sind dankbar dafür, dass in solchen Momenten andere Flüchtlinge dann auch eingreifen und helfen, den Menschen in seiner Sprache zu beruhigen. Bitte betet für diese Personen, dass sie neue Hoffnung bekommen und sie von Gottes Liebe verändert werden. Wir kennen das Herz dieser Menschen nicht, ihre Sorgen, Ängste, Vorwürfe, Sehnsüchte, Verletzungen und Enttäuschungen, aber Gott tut es und wir sind so dankbar, dass wir Teil davon sein dürfen, ihnen seine Liebe und sein Herz für sie zu zeigen.

Den Dienstag heute hatten wir alle frei, deshalb starteten wir eine Inselbesichtigung, von der eine Station der “Lifewest-Graveyard” war. Es ist eigentlich kein richtiger Friedhof, aber irgendwie auch doch: Berge voller zerrissener Rettungswesten und zerfetzter Schlauchboote erzählen von der Zeit, als sich noch täglich Zehntausende auf die Insel Lesbos flüchteten. Hier und dort lagen noch Schuhe, Jacken, Hefte, Rucksäcke und Schwimmflügel, die nur erahnen lassen, wie viel Angst und Not hier geherrscht haben müssen, wie die verzweifelten Väter versuchten ihre Familien zu retten, wie sich Jugendliche nach Luft schnappend an den Strand hieften, wie viele auf dem Weg hier her erbarmungslos ertranken, wie sich Chaos und Ungewissheit auf dieser kleinen Insel ausbreiteten. Unbegreiflich… An diesem Ort liegen nicht unbedingt Menschen, aber viele Hoffnungen und Träume, Lebenslust, Optimismus auf eine bessere Zeit, Sorglosigkeit und Freude vergraben. Wir können uns all das nicht wirklich vorstellen, aber wir können für diese Menschen beten, für die Flüchtlinge aber auch für die Bewohner von Lesbos, die die Auswirkungen des Flüchtlingsstroms immer noch zu tragen haben.

Den Rest des Tages werden wir in Gemeinschaft verbringen: uns austauschen, füreinander beten und gemeinsam essen, bevor wir morgen früh wieder ins Camp fahren und dort „scheinen“.

Danke für eure Gebete!! Wir wertschätzen das sehr!

Euer Lesbos-Team

Nachricht vom Montag, 24. Sept.

Inzwischen sind wir knapp drei Tage im Einsatz und es ist erstaunlich, wie schnell man sich augenscheinlich an die Umstände dort im Lager gewöhnt. Klar, es ist furchtbar, wie die Menschen innerhalb und um diese riesigen Zäune mit Stacheldraht und Wachposten an jeder Tür leben, aber sie leben und es sind großartige Menschen, die in der ganzen Not eben mehr als nur diese Not sind. Und auch wenn wir noch nicht so lange dort sind, lernt man einzelne von ihnen kennen, erfährt ihre Geschichten und Hoffnungen, aber vor allem verbringt man Zeit mit ihnen, versucht sich zu verständigen, lacht viel, reicht ihnen die Hand, begegnet ihnen, wie es eben möglich ist. Es ist echt schön hier zu sein und Liebe, Lächeln, Zeit und praktische Hilfe zu schenken, eben „Jesu Hände und Füße“ zu sein, wie es in der Bibel an einer Stelle heißt.

Bei der Schicht heute Vormittag gab es Probleme mit der Registrierung, sodass sie nicht in das Camp hineingelassen wurden. Deshalb haben sie den Vormittag in einem Communitycenter des Greater Europe Mission verbracht und dort ausgeholfen. Das hat sich inzwischen geklärt, sodass wir zum nächsten Schichtantritt um 16 Uhr wieder rein durfen. Wir sind schon gespannt, wie die Stimmung dort sein wird, weil heute der große „Ausreisetag“ sein sollte. Wie werden die Zurückgebliebenen reagieren und wie viele werden neu einquartiert?

Wir sind dankbar, dass wir bisher bewahrt wurden und dass, auch wenn es Auseinandersetzungen unter den Flüchtlingen gab, gute Lösungen gefunden werden konnten und auch dass wir uns mit jedem Tag sicherer in unseren Aufgaben und im Umgang mit den Menschen dort sind. Der Strand ist größtenteils ruhig und das Wasser schön klar – wir können also gut einen kühlen Kopf bewahren. Bisher sind wir alle gesund geblieben und haben auch Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten und um vor Gott in der Stille zu ruhen.

Ein großes Anliegen ist für uns, dass Timo die Genehmigung bekommt im Camp zu fotografieren. Wer ihn kennt, weiß, dass ihm das persönlich sehr viel bedeutet und andererseits ist es Teil eines Kunstprojekts im Rahmen seines Studiums.

Wir beten für Frieden, für Hoffnung und Liebe inmitten der Not und der vielen Arbeit hier.

Wir beten für ein ruhiges Klima und um eine ruhige Situation hier im Camp und dass soweit alles Organisatorische gut von statten geht.

Seid gegrüßt, euer Lesbos-Team

Nachricht von Sonntag Nacht, 23. Sept.

Wir sind gerade gegen 00.30 Uhr von der Spätschicht heimgekommen, von der Timo, Wolfgang und Adrian uns für ihre Nachtschicht abgelöst haben. Vermutlich werden sie die Wache übernehmen, Rundgänge machen und hoffentlich gute Gespräche führen, aber zu ihrer Schicht gibt es morgen vermutlich mehr.

Nach einem organisatorischen Treffen und einer Einführung in die Hintergründe, die Schilderung der momentanen Situation und der Erläuterung der Sicherheitshinweise und Verhaltensregeln in Moria trafen wir uns um 15:00 Uhr mit unserer Koordinatorin Britany vor Ort. Ein Sprung ins kalte, ungewisse Wasser. Die militärische Einrichtung war gut umzäunt und von der griechischen Polizei bewacht; war man einmal durch die Sicherheitsschranke durch, tat sich ein riesiger Ort voller Unwürde und Elend auf. Die Organisatoren tun ihr Bestes, aber es sind ganz einfach zu viele Menschen an einem so provisorischen Ort, dass es viel zu hoch gegriffen wäre, irgendwelche Erwartungen zu schüren. Und eben diese verlassen die meisten Neuankömmlinge – 22 Familien allein heute -, wenn sie einen Fuß in das Camp setzen: alles ist bis auf das Äußerste überfüllt, es steht Container an Container, überall neben dran und zwischendrin stehen kleine oder große Zelte, in den Zwischenräumen hängen die letzten Habseligkeiten an Kleidungsstücken. Riesige Zäune grenzen die einzelnen Zonen und allgemeine Zelte, wie die Krankenstation, ein wenig ab, es kommen insgesamt 75 Personen auf eine einzige Toilette… der Dreck, die Armut, die Machtlosigkeit der Flüchglinge, die dort für ungewisse Zeit festsitzen, schreit nach Gerechtigkeit. Wie kann es sein, dass Menschen, die so viel Tragisches erlebt haben und z.B. alles aufgeben müssen und ihre Liebsten verlieren, an so einem menschen-unwürdigen Ort leben müssen?

Man konnte und wollte einfach nur verzweifeln, aber das Beste, das wir tun konnfen, war unsere Arbeit zu tun und die verhieß tatsächlich gute Nachrichten. Außer Joel und Lisann, die ein Auge auf die Frauen und allein reisende Kinder hatten und in der Sektion bei der Nahrungsausgabe mitarbeiteten, durften die meisten von uns Flüchtlinge im Camp ausfindig machen und ihnen ein Ticket aushändigen, das sie in den nächsten Tagen weiter nach Athen bringen sollte. Die griechische Regierung hatte beschlossen, ca. 1000 Flüchtlinge aus dem Camp nach Athen zu leiten. Ihre Augen und Gesichter strahlten vor Freude und Hoffnung, sie machten Freudentänze – es war so herrlich. Mitten in alldem gibt es Hoffnung! Natürlich weiß niemand von ihnen, wie es in Athen für sie weitergeht, aber man sagt, dass alles andere besser ist als in Moria zu sein…

Wir sind Gott sehr dankbar für das, was wir tun können, dass wir eine kleine Hilfe in diesem Durcheinander sein können und ein wenig Hoffnung verbreiten.

Beinahe wäre das Camp heute von einem Feuer heimgesucht wurde. Auf dem Hügel neben dem Camp war ein Waldbrand ausgebrochen, der durch den günstigen Wind und die schnelle Reaktion glücklicherweise sehr bald gelöscht werden konnte.

Danke für eure Gebete. Wir als Team wachsen gut zusammen, wir haben trotz allem eine herzliche Gemeinschaft.

Liebe Grüße, euer Lesbos-Team

Nachricht von Samstag, 22. Sept.

Hallo! Frisch und fröhlich haben wir uns gestern (Freitag) um 5.15 Uhr am Frankfurter Flughafen getroffen. Gott sei Dank hat mit dem Gepäck alles reibungslos und ohne Zuzahlung geklappt, obwohl wir sehr überpackt waren. Das war aber auch das einzig wirklich Aufregende, das uns an diesem Tag widerfahren ist. Nagut, der griechische Verkehr war auch nicht ohne! Denn während der langen Wartezeit in Athen hat uns Joels Freund Mark auf die Spuren von Paulus und in die griechische Kultur geführt, der wir in den nächsten Tagen hoffentlich noch mehr begegnen werden: von der Akropolis mit ihren beeindruckenden Bauten über die größte griechisch-orthodoxe Kirche bis hin zum griechischen Parlament.

Aber inzwischen, da wir auf Lesbos angekommen sind, hat das Dasein einen bittersüßen Geschmack bekommen. Die Insel an sich ist wohl sehr schön, aber es geschieht so viel Tragisches. In den letzten zwei Wochen sind jeden Tag ca. 100 Flüchtlinge hier angekommen, sodass inzwischen 10000 Menschen auf einen für 3000 Personen ausgelegten Raum kommen. Wir können die Hoffnungslosigkeit und die traurigen Schicksale nur erahnen und unsere Herzen sind entsetzt. Ernie, unser Koordinator vor Ort, hat uns geraten uns emotional und psychisch zu wappnen. Bitte betet für unseren ersten Arbeitstage, dass wir nicht von dem überwältigt werden, was wir sehen und erleben.

Wir sind sehr müde und gespannt, was uns erwarten wird, und hoffen und vertrauen darauf, dass jeder von uns in den nächsten Tagen seinen Platz haben wird, an dem er Liebe leben kann, auch wenn unsere Gefühle gerade etwas aufgewühlt sind.

Vielen Danke für eure Gebete! Es ist so schön zu wissen, dass Gott uns gibt, worum wir bitten, wenn wir inständig vor ihn treten!

In Liebe und überwältigender Müdigkeit,
das Lesbos-Team